Zurück in die Zukunft: Das Comeback des Cannabis als Nutzpflanze in Anatolien
Not macht bekanntlich erfinderisch und manchmal liegt die Lösung in der Vergangenheit. Die kürzlich erfolgte Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die sich in einer schweren Krise befindliche Wirtschaft in der Türkei auch durch den intensiven Anbau von Cannabis beleben zu wollen, hat für internationale Aufmerksamkeit gesorgt.
Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein orientalisches Märchen aus 1001 Nacht wirkt, hat bei genauerer Betrachtung durchaus eine gewisse Substanz. Die ertragreiche und vielseitig verwendbare Nutzpflanze Cannabis wird seit einigen Jahren weltweit wieder als kostengünstig produzierbarer Rohstofflieferant für die Automobil-, Papier- und Textil- sowie pharmazeutische Industrie entdeckt.
Das zurzeit größte Problem der Wirtschaft in der Türkei, die hohe Abhängigkeit von importierten Gütern u.a. für die besagten Branchen, soll durch den großflächigen Anbau von Cannabis spürbar abgeschwächt werden.
Der Hanf- und Cannabisanbau in der Türkei war über Jahrtausende üblich
Die Türkei kann eine fast 4.000 Jahre alte Tradition der Cannabiskultur vorweisen. Regionale historische Schwerpunkte des Hanfanbaus waren und sind etwa der Westen des Landes und die zentrale Schwarzmeerregion. Die gerade auch wirtschaftlich so facettenreiche Pflanze spielte in der Türkei noch bis weit bis in das 20. Jahrhundert eine außerordentlich bedeutsame Rolle.
Von den fast 57.000 Hektar Anbaufläche waren bis 1961 noch 14.000 übrig. Im Jahr 2017 waren es gerade noch 4 Hektar.
Die Gründe diesen massiven Rückgang sind vor allem der intensive Druck der USA auf die Türkei seit den 1970er Jahren. Sie wollen die Produktion und den Handel mit Haschisch und auch den Anbau von Cannabis unterbinden und verhindern.
Kritiker weisen jedoch auf das Problem hin, dass vor allem die Anteile der US-amerikanischen Kunstfaserindustrie auf dem Weltmarkt verbessert sind. Hanf sollte als qualitativ unschlagbarer Konkurrent mit dem Vorwurf des Drogenaspektes aus dem Weg geräumt sein.
Angesichts der Erfahrung mit Anbau von Cannabis könnte die Rechnung aufgehen
Experten rund um Erdogan weisen somit zu Recht und zutreffenderweise daraufhin, dass eine Reaktivierung ehemaliger Anbauflächen für Cannabis in der Türkei für die heimische Wirtschaft äußerst vielversprechend ist.
Statt der lediglich 7 Tonnen Cannabis, die im Jahr 2018 produziert sind, soll bald wieder an die über 5.000 Tonnen von 1961 angeknüpft sein. Hierfür soll der bislang in 19 Provinzen zulässige Anbau landesweit ausgeweitet. Die Türkei möchte in Sachen Cannabis also möglichst autonom werden. Die zwischen 2015 und 2018 aus dem Ausland importierten gut 4.500 Tonnen Hanf wollen sie lieber selber produzieren.
Auf diese Weise sollen mittel- und langfristig vor allem auch teure Devisen gespart können. Die geografischen und klimatischen Gegebenheiten gelten dabei als sehr günstig, da Hanf wenig Wasser benötigt. Es kann somit auch in vielen eher trockenen Gebieten der Türkei problemlos angebaut werden.
Der Alleskönner Cannabis ist bei der Herstellung Tausender Produkte hilfreich
Doch nicht nur enorme Einsparungspotenziale bei Devisen haben die Befürworter des „Cannabis-Comebacks“ in der Türkei vor Augen. Die Verwendung von Hanffasern in theoretisch über 3.000 verschiedenen Produkten soll der türkischen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen.
Angedacht ist der Einsatz von nachweislich sehr robusten, soliden und lange haltbaren Hanffasern bei der Produktion von Autoteilen. Es soll als Ersatz für kostspielig importierte Zellulose für Banknoten und für die Herstellung von hochwertiger Kleidung dienen.
Mit der schon im 19. Jahrhundert in die gesamte arabische Welt exportierten und nach der gleichnamigen Schwarzmeerprovinz benannten „Rize-Kleidung“, wie zum Beispiel speziell dem aus Hanf gewebten Hemd „feretiko“, besitzt man in der Türkei auch ein historisches Vorbild und damit das Wissen um wirtschaftlich lohnenswerte Anwendungsbereiche für Cannabis.
Darüber hinaus wird besonders auch Hanföl als recht gewinnbringend eingeschätzt. Hanföl ist für die Produktion von Kosmetik aller Art global bedeutend. Nicht zuletzt können Cannabissamen und Pflanzenbestandteile als relativ günstiges Viehfutter verwandt werden.
Schon seit Jahren arbeiten türkische Forscher mit Unterstützung der staatlichen Technik- und Wissenschaftsbehörde „TÜBİTAK“ darum intensiv und erfolgreich an der genetischen Reduzierung des THC-Gehalts in Cannabispflanzen.
Anderer international erfolgreiche Hanfproduzenten machen der Türkei Mut
Die jetzige Offensive der türkischen Regierung ist den Cannabisanbau auf deren Gebiet als „Lebensretter“ für die Wirtschaft zu nutzen. Es ist also nicht so abwegig, wie sie von manchen eher skeptischen Beobachtern zunächst eingestuft wurde.
Die angestrebten Ziele vermutlich eine längere Zeit benötigen. Momentan werden sie von den offiziellen Stellen sehr ehrgeizig und zuversichtlich propagiert. Nichtsdestotrotz zeigt die auch anderenorts erfolgende Wiederkehr von Hanf als Nutzpflanze deutlich, dass die ökonomischen Zahlen eindeutig und zuverlässig für sich sprechen.
Sollte es der Türkei also gelingen, die uralte Tradition des Hanfanbaus neu zu beleben und mit modernen Maßnahmen technologisch wie auch gesetzlich zu begleiten, könnte diese Renaissance des „grünen Goldes“ für die in eine lange und schwere Krise geratene Wirtschaft des Landes tatsächlich sehr nützlich sein.
Seit er 2013 als freier Autor tätig ist, schreibt Anton Huber über eine Vielzahl von Themen, sein besonderes Interesse gilt jedoch den Auswirkungen von Cannabis auf die menschliche Gesundheit. Er berichtet über aktuelle Studien und deren Ergebnisse sowie über weltweite Nachrichten zum Thema Hanf. Als Chefredakteur der Deutschen Hanf Zeitung setzt sich Anton Huber dafür ein, die Öffentlichkeit über die Vorteile von Cannabis und seine verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten aufzuklären.